Antiaging

Dr. med. Andres Bircher
Nicht einfach ist  es, alt zu sein. Wer nach einem erfüllten Leben endlich zur Ruhe kommt, der wird sich vielleicht auf Musse und Zeit freuen.

Doch brechen gerade dann meist Beschwerden aus, Krankheiten, die das Leben mühselig machen. Wer das Glück hat, gesund zu sein und mit Enkelkindern zu spielen, erlebt glückliche Stunden. Später, wann sie gross sind, kommen sie nicht mehr so oft zu uns. Da wird es manchmal einsam und kalt um uns. Zu oft schon mussten wir von vertrauten Menschen Abschied nehmen. Umgeben von neuen Generationen, von Menschen, die wir nicht verstehen können, die uns nicht verstehen können, die glauben, wir Alten taugten nichts mehr, wir seien eine wertlose Belastung für die Gesellschaft. Und die Erinnerungen, unsere Erfahrung, Kenntnisse aus vielen Jahrzehnten?  Wer frägt nach der Weisheit älterer Menschen? Manche, diejenigen nämlich, die Besitztümer haben, beginnen im Alter diese zu horten und zu zählen. Gar zu leicht kann es geschehen, dass wir Reichtum mit verbliebenen Lebensjahren verwechseln. Mit wirtschaftlicher Sicherheit möchten wir Lebensjahre erhalten. Diese Illusion führt uns in das Drama von Angst und Einsamkeit.  Manchmal, aber nicht immer, wird dieser Unsinn des Geizes so grotesk, dass wir ihn erkennen können. Dann sind wir erlöst. Dann wird es möglich, wieder froh zu sein. Wenn wir entdecken, wie glücklich wir werden, wenn wir wieder lernen, die Not anderer wahr zu nehmen, die Verzweiflung verarmter, alleinerziehender Mütter, die Einsamkeit anderer, noch älterer Menschen, die Traurigkeit des Schicksals behinderter Menschen, die Verzweiflung der vielen Familien, denen Bankakteure alles weggenommen haben, die Scham benachteiligter Schüler Kinder, die sich nicht wehren können, die Verzweiflung der Eltern des Südens, weil sie ihren Kindern kein Mittagsmahl bereiten können, und nur schmutziges Wasser zu trinken geben können, weil unsere Mitbürger, unsere  Industriellen und Banker von nebenan die Kaffeepreise gesenkt haben und von Kindern genähte Hemden für 7 Euros in deutschen Warenhäusern verkaufen wollen. Besitztum herzugeben, ihn sinnvoll einzusetzen, ihn zu teilen, nicht nur mit den eigenen Kindern, sondern mit denjenigen um uns, die etwas nötig haben wirkt auf uns Menschen wie eine Erlösung aus scheinbarer Sinnlosigkeit. Haben wir selbst nur das Nötigste, so können wir denjenigen vorlesen die nicht mehr gut sehen, Kinder einladen, um ihnen Bilderbücher zu zeigen, bei ihnen sein, sie zu Aufgabengruppen einladen, wenn sonst niemand für sie Zeit hat. Wir können ins Altersheim gehen, Menschen besuchen, die vergeblich auf Besuch warten.

Uralt ist der Wunsch des Menschen, jung zu sein. Immer wieder lebt er auf mit  verlockenden, verkäuflichen  Versprechungen, mit  Melatonin, Somatotropin, mit gut angepriesenen Nahrungszusätzen und Vitaminen. Warum eigentlich leben Bäume und Papageien so viel länger als wir? Was könnte man gegen das Altern des Menschen tun? Warum beträgt die Lebensdauer des gesunden Menschen 100 Jahre? Warum gibt es einzelne, die 120 Jahre alte werden? Jede biologische Art hat ihre genetisch festgelegte Lebensdauer. Melatonin, das Schlafhormon der Zirbeldrüse, wird als Antiagingmittel angepriesen, als „Pille für den Mann“ und als „Waffe gegen freie Radikale“ (gegen Krebs). Doch hat noch niemand bis heute eine lebensverlängernde Wirkung von Melatonin nachgewiesen. Auch für das Hormon DHEA (Dihydroepiandrosteron) gibt es keinen Bewies einer lebensverlängernden Wirkung. Dagegen bestehen wissenschaftliche Hinweise, dass dieses Hormon Tumorwachstum begünstigt. Antiagingspritzen mit Wachstumshormon (HGH) dürfen nur vom Arzt durchgeführt werden. In Tierversuchen wurde jedoch gerade eine lebensverkürzende Wirkung aufgezeigt, neben einer Förderung von Tumorwachstum. Auch für die Antiagingtherapie mit Schafthymusextrakten gibt es keinen Wirkungsbeweis und ebenso wenig für die tägliche Einnahme von Vitamin E–Kapseln und Selen. Die vorgesehene Lebensdauer des Menschen ist 100 Jahre. Doch erreichen nur ganz wenige dieses Alter. Alle andern sterben vorher an Zivilisationskrankheiten. Diese können vermieden und wenn schon vorhanden, oft noch geheilt werden. Dazu braucht es neue Einfachheit, Natürlichkeit und Bescheidenheit. Eine einfache, naturbelassene vegetabile Frischkost, den Verzicht auf verkünstelte Industrienahrung, auf Alkohol, auf Reizmittel und andere vermeintliche Gesellschaftszwänge. Ein einstündiges, tägliches, entspanntes Gehen, draussen in der freien Natur in jedem Wetter und in stiller Ehrfurcht vor dem Genie der Schöpfung, in täglicher Bewunderung des Lebendigen.  Ein Zurückfinden zur Wahrheit. Eine entschiedene Absage an alle Scheinbedürfnisse, welche die Lügen der Werbung, der Politiker und Medien erzeugen. Ein neues, freundschaftliches Teilen, ein neuer Respekt den Schwächeren, den Bedürftigen gegenüber, ein Zurücktreten, da wo man anderen Schaden zufügen würde, Mut zu neuer Würde und Menschlichkeit.

Tipp:
Schreiben Sie Tagebuch, jeden Abend 20 Minuten, schreiben Sie, was Ihnen unmittelbar in den Sinn kommt, auch wenn es Ihnen unsinnig erscheint. Notieren Sie unkontrolliert, was Ihnen gerade durch den Kopf geht. Dann schreiben Sie, was heute Sie glücklich machte und worauf morgen Sie sich freuen.

Handbuch 4 | Ordnungsgesetze